Reinhold Wildner

Öffnet die verordnete Isolation mich für das Leid der Vielen, oder wirft sie mich zurück auf mich selber?

Juni, 2020

Spannung und Entladung, ein sich Ballen und Öffnen sind schon bei den Amöben das Prinzip des Lebens im Urmeer. Vom Ersticken und Luft kriegen, von den Kiemen zur Lunge, vom Panzer der Echsen zur Blöße des nackten Menschen, zeigt die Evolution uns den großen gemeinsamen Weg. Aber wohin?

Der Hunger krampft das Baby zusammen, die nährende Brust der Mutter löst es in Lächeln auf. Unsere sexuelle Not mündet in der endlich befreiten Lust – die geballte Frage des Forschers im Orgasmus des Erkennens. Und die unstillbare Sehnsucht des Herzens verlangt nach der liebenden Vereinigung mit der so fehlenden Person.

Öffnet die schmelzende Liebe nicht all unsere Sinne und wir werden mit der ganzen Schöpfung intim? „Vom Rosenbusch getroffen, der blühende Wind!“ Ist die Membran unseres Herzens heute dabei, weltweit zu werden?

Viele dieser Entladungen werden durch die Quarantäne abgeschnitten. Wir vermissen den sozialen Orgasmus, das helle Lachen bei einem Glas Wein, den entscheidenden Torschuss und den Jubel danach. Wir vermissen den Geruch und den Genuss des vollen Konzertsaals, oder die uns zärtlich umarmenden Hände!

Der Stau des Unvollzogenen tut weh! Er kann auch „on-line“ nicht gänzlich gestillt werden. Wir bleiben in der Spannung hängen. Die Liebe ist „süß“, Schokolade auch. Wie viele Kilos kostet die befohlene Ohnmacht?

Doch wo bleibt der Nächste? Wo seine Sterbensangst – allein ohne Besuch? Wo seine finanzielle Verzweiflung und die unentrinnbare Einsamkeit? Wie finden getrennte Körper einander in der unilokalen Resonanz? Wie bricht mein Herz auf und findet zur strahlenden Tat?

Und wie wurzelstark stehe ich da und hebe nicht ab in die kollektive Psychose der Weltverschwörer – hier mit dir, unbändig allein?

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