Die Maske
Oktober, 2020Die Maske war und ist im kollektiven Bewusstsein der Menschheit ein magisches Relikt. Sie diente der Abschreckung. Böse Geister sollten durch sie vertrieben werden. Es war der Ausdruck archaischer Macht über äußere und innere Feinde.
In früher Zeit war die Maske unser Gesicht. Es gab noch keine Individualität. Kein Lachen, kein erschütterndes Weinen, keine Zornesfalten. Es gab den stoisch starren Ausdruck der sozial erlaubten Grimasse.
„Asien lächelt anders“, schrieb Jean Gebser bei seiner Japanreise. Er fand, wer dort die traditionelle Fassade einer Familie angreife, die somit ihr „Gesicht verliert“, bringe Schande und das Verlangen nach Sühne als Ausgleich durch Selbsttötung: „Harakiri“. Die starre Mine aber blieb. Sie wurde zur Totenmaske.
Nur allmählich, Jahrtausende langsam, fiel der Glaube an das Opfer und an die beschworene Tat von uns ab. Langsam verlor der Zwang der „Maske“ seinen Bann. Endlich fiel sie von uns ab. Wir fanden uns bloß – unser ureigenes Gesicht begann zu lächeln, zu lieben und zu weinen. Tränen waren nicht mehr verboten, sondern erwünscht. Sie brachten die verlorene
Liebe heim. Und heute?
Unsere Gesichter verkümmern hinter der massenhaft befohlenen Maske. Kinder verlieren den Liebreiz ihrer Unschuld, Erwachsene die Würde. Und leise, allzu leise fallen wir zurück in den Kadavergehorsam einer frühen magischen Zeit.
Wo bleibt das Maß einer bewusst gesteuerten Differenzierung? Wo der Gesamtblick der Politiker heute für die Folgen bei der Anordnung ihrer lenkenden Maßnahmen?